03.04.2022.

 

Ein Beitrag unseres Kreisvorsitzenden Dr. Florian Sander zu lokalen NW-Kommentaren in der Ausgabe vom  02.04.2022.

Sehr geehrte Frau Krüger,

ich möchte an dieser Stelle einmal mit ein paar Worten auf Ihren gestrigen Kommentar auf Lokalseite 2 Bezug nehmen. Sie machen darin, wie ich finde, viele gute und richtige Anmerkungen, die ich von Ihrer Zeitung als sehr erfrischend empfinde. Erfrischend einerseits, aber auch irritierend, gerade weil gleich die nächste Lokalseite (3) eben wieder das Gegenteil zeigt. Herr Reichenbach berichtet zwar nach meinem Eindruck meist recht nüchtern, aber das Grundproblem ist hier ein anderes. Eines, bei dem ich selber, wie ich offen zugebe, aus persönlicher Betroffenheit heraus „befangen“ bin, von dem ich aber glaube, dass es eine Grundproblematik eben dessen aufzeigt, was Sie in Ihrem richtigen Kommentar problematisieren.

Wenn Sie als Zeitung einer Gruppe wie dem Recherchekollektiv OWL, die eindeutig linksradikal verortet ist und zugleich immer aus der sicheren Anonymität heraus agiert und agitiert, in Regelmäßigkeit eine solch beträchtliche publizistische Macht ermöglichen, dann hat das Einfluss auf die Qualität des politischen und medialen Diskurses. Und diese sinkende Qualität des Diskurses hat in so gut wie allen Fällen – seien es nun Herr Prof. Schwab oder Politiker etwa der AfD – einen gemeinsamen Grund: Das Aufgreifen des Kontaktschuld-Narrativs, das auch Herr Prof. Schwab richtigerweise problematisiert hat und mit dem Antifa-Gruppen wie das Recherchekollektiv regelmäßig Menschen zu diskreditieren versuchen und dadurch den Diskurs vergiften bzw. unmöglich machen. Gehen wir diesem doch mal auf den Grund.

Das Kontaktschuld-Narrativ beinhaltet immer wieder ein bestimmtes Muster: Person A arbeitet mit den Personen B, C und D zusammen. Person D ist irgendwann einmal durch vermeintlich radikale Aktivitäten oder eine Nähe zu solchen in Erscheinung getreten. Person A erfährt dies entweder erst später oder aber sie weiß es, distanziert sich aber nicht augenblicklich von Person D und wird dadurch selbst „schuldig“. Nun müsste eigentlich jeder mit einem gesunden Menschenverstand erkennen, dass dies Person A nicht automatisch zu einem Extremisten macht, sondern dass Person A auch einfach zu einer anderen politischen und / oder charakterlichen Beurteilung von Person D gekommen sein könnte. Möglicherweise kommt Person A auch zu der Erkenntnis, dass, solange dies nicht auf der anderen Seite des politischen Spektrums ebenfalls geschieht, sie eben auch auf ihrer Seite nicht über jedes hingehaltene Stöckchen springen muss, um es mit Herrn Schwab zu sagen.

Konkreter: Wenn etwa Vertreter von SPD, Grünen und Linken keinerlei Scheu haben, zusammen mit teils gewaltbereiten Antifa-Leuten zu demonstrieren – wie können sie dann von der rechten Seite des Spektrums erwarten, vor jeder Demo einen ideologischen Gesinnungs-Check sämtlicher Teilnehmer vorzunehmen? In jedem Fall aber ist klar: Das Kontaktschuld-Narrativ ist restlos unterkomplex, durchweg unfair und pauschalisierend, weil es die charakterliche Verschiedenheit von Menschen und die Komplexität ihrer politischen Motive und Intentionen ausblendet, meistens durch dualistische Gut-gegen-Böse-Moralisierungen. Ich gehe sogar noch weiter: Das Kontaktschuld-Narrativ ist im Kern totalitär, weil es bedeutet, dass z. B. bereits ein gemeinsames Essen, ein gemeinsamer Dialog, eine Nicht-Distanzierung oder eben ein anlassbezogenes (!), aber eben nicht generelles gemeinsames Agieren automatisch eine gemeinsame Gesinnung und sogar noch eine gemeinsame „politische Schuld“ bedeuten würde. Und dies dann, weil man die „falschen Gedanken“ denkt. Da sind wir dann irgendwann sehr schnell bei den „Gedankenverbrechen“ aus George Orwells „1984“.

Liebe Frau Krüger: Ich teile also Ihre Einschätzung und Ihren Wunsch nach einer Rückkehr des demokratischen Dialogs (und wenn mir von politischen Gegnern, Antifa-Extremisten und instrumentalisierten VS-Behörden noch hundertmal das Gegenteil unterstellt wird). Aber ich appelliere an Sie: Hinterfragen Sie dabei bitte auch Ihre eigene Rolle als Zeitung. Hinterfragen Sie, wen Sie in welcher Form aufgreifen und wessen Narrative Sie weiterverbreiten. Narrative übrigens, die seitens der Antifa zu nicht weniger als zur Zerstörung der beruflichen Existenz kritischer Köpfe führen sollen, wie man nun wieder am Adressieren der Uni-Leitung sieht, die sich in vorauseilendem Gehorsam schon eingeschaltet hat. Finden Sie, dass dies einer freiheitlichen Demokratie würdig ist? Glauben Sie, das führt zu sozialem Frieden in der Stadtgesellschaft?

In jedem Fall – und ich bedaure das – müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie als Medium irgendwann bestimmte gesellschaftliche Gruppen einfach nicht mehr erreichen können, weil diese einfach keine Lust mehr haben, sich fortlaufend in moralisch böse Ecken schieben zu lassen, nur weil anonyme, aus dem Hinterhalt agierende „Recherchekollektive“ selektiv zitieren und einer unterkomplex-totalitären Kontaktschuld-Logik folgen. Diese US-amerikanischen Verhältnisse zeigen dies ja sehr eindrücklich: Irgendwann ist dann jeder in seiner Filterblase, aber keiner redet mehr mit dem anderen, weil ja die Gegenseite immer durchweg moralisch böse ist. Eine Dystopie, wie ich finde.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Florian Sander, Kreisvorsitzender AfD Bielefeld, Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld