25.01.2020.

Deutliche Kritik an Merkels Entscheidung übt nun auch Hans-Jürgen Papier, Deutschlands höchster Richter außer Dienst. Merkels Grenz-Entscheidung 2015 stuft er als „Rechtsbruch“ ein.

In seinem Ende 2019 erschienenen Buch „Die Warnung – Wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“ (Heyne, 272 Seiten) analysiert Hans-Jürgen Papier unter anderem die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik. Dabei zieht er ein erschreckendes Fazit.

Gleich zu Beginn des entsprechenden Kapitels schreibt er, der Staat dürfe immer „nur im Rahmen der Gesetze“ handeln – ganz gleich, „welches strategisch politische Denken ihn bestimmt, was für ökonomische Erwägungen oder auch moralische-ethische Beweggründe ihn treiben“.

„Vertrauen in Demokratie erschüttert“

Dann kommt er zum Punkt: „Besonders in der Asyl- und Migrationspolitik der vergangenen Jahre ist dieser elementare Grundsatz in besorgniserregender Weise ignoriert worden – in Deutschland, aber auch in den anderen Staaten der Europäischen Union.“ Es verwundere nicht, so Papier, „dass diese politische Willkür das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und ihre Funktionsfähigkeit erschüttert hat“.

Merkels Grenz-Entscheidung 2015: „Das war ein Rechtsbruch“

Ihre Entscheidung vom 5. September 2015, Flüchtlingen die Einreise ohne weitere Grenzkontrollen zu ermöglichen, sei illegal gewesen: „Das war ein Rechtsbruch“, so Papier.

Menschen, die aus sicheren Drittstaaten kommen, hätten „keinen Anspruch auf Klärung, ob sie in Deutschland asylberechtigt sind, und können deshalb auch nicht nur vorläufig in Deutschland bleiben“, führt Professor Papier aus. „Sie können – und müssen – also an der Grenze zurückgewiesen werden.“ Das sei „klare und eindeutige“ Rechtsgrundlage.

Mit ihrem berühmten Satz „Wir schaffen das“ (als Reaktion auf die Krise im Mittelmeer und die Flüchtlingsströme aus Syrien und Nordafrika) habe Angela Merkel „ein Signal“ in die Welt gesendet. Ein Signal für Tausende Menschen, „sich überhaupt erst auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu machen“ und nach Deutschland zu kommen.

Papier gibt zu Bedenken: „Auch wenn Teile der Gesellschaft das als inhuman werten: Es war rechtlich nicht in Ordnung, in einem bestimmten Zeitraum alle Migranten unbegrenzt einreisen zu lassen.“ Es handele sich dabei um „eine Verletzung des deutschen Asylrechts wie auch der europäischen Dublin-III-Verordnung“.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts nennt die politischen Reaktionen auf die massenhafte Zuwanderung aus Nordafrika „eine klare Kapitulation des Rechtsstaats“.

„Humanität, Barmherzigkeit und Nächstenliebe – vom moralischen Standpunkt aus sind diese Prinzipien selbstverständlich ehrenhaft und anerkennungswürdig“, meint der Spitzenjurist. Allerdings könnten subjektive und individuelle Vorstellungen von Solidarität und Hilfsbereitschaft nicht an die Stelle des Gesetzes treten – „sonst macht sich Chaos breit“.

In welcher Form sich das „Chaos“ darstellte, beschreibt Papier so: „Die Bereitschaft, Menschen in Not aufzunehmen, hat bei vielen Deutschen Furcht und Abwehr ausgelöst, was in der Folge politisch zu einer Radikalisierung und zu einer besorgniserregenden Spaltung der Gesellschaft führte.“

In seinem Buch spricht Papier klare Dinge aus.,

Einige Beispiele:

  • „Während die europäische Flüchtlingspolitik sich als wenig rechtssicher erweist, lernen die Asylbewerber und ihre Hilfsorganisationen ständig dazu. Sie nutzen die Tatsache, dass allein der Antrag auf Asyl schon mit vielen Ansprüchen und staatlichen Leistungen verbunden ist, zum Beispiel einem vorläufigen Bleiberecht.“
  • „Flucht und Migration sind zu einem ‚Business‘ im großen Stil geworden – mit Schleppern und gefälschten Pässen.“
  • „Die europäische Reaktion auf die Zuwanderung von Flüchtlingen und Migranten ist weitgehend von politischer Willkür und Hilflosigkeit geprägt. Geltendes Recht wurde immer wieder ignoriert bzw. nur partiell herangezogen, dort, wo es den jeweiligen Interessen diente.“
  • „Die ‚sicheren Drittstaaten‘ wurden faktisch zu Durchzugsländern. Das hat eine Art Wahlfreiheit für die Asylsuchenden und alle anderen Migranten geschaffen. Das wohlhabende Deutschland manövrierte sich durch die Unentschlossenheit der politisch Handelnden in die Position, nahezu das einzige Zielland der Migration zu werden.“
  • „In Deutschland leben inzwischen viele Ausländer, die den Status als Flüchtling im Rechtssinn nicht oder auf fragwürdige Weise erlangt haben – weil das geltende Recht inkorrekt, oberflächlich oder vorschnell interpretiert wurde … Was die sich illegal in Deutschland aufhaltenden Personen angeht, so können wir nur vermuten, dass ihre Zahl in die Hunderttausende geht.“
  • „Zu den Herausforderungen für den Rechtsstaat gehört es deshalb auch, trotz aller Schwierigkeiten die Ausreise derjenigen zu veranlassen und gegebenenfalls durch Abschiebungen durchzusetzen, deren Aufenthalt in Deutschland oder der EU nicht rechtens ist.“

Papier kritisiert nicht nur, er sucht auch Lösungen, macht Vorschläge. Um illegale Einreisen mit all ihren Folgelasten effektiv zu verhindern, kann es aus seiner Sicht nur ein Mittel geben: Grenzkontrollen. „Nach meinem Dafürhalten sind sie notwendig, denn die allgegenwärtige Binnenmigration – unter Umgehung der Drittstaatenregelung – ist illegal und sogar strafbares Unrecht.“

Außerdem fordert Papier eine „grundlegende Reform“ des Asyl- und Migrationsrechts, „am besten durch ein neues, einheitliches EU-Recht“. Papier: „Wir brauchen einen gemeinsamen Asylraum, mit übereinstimmendem Asyl- und Asylverfahrensrecht und vor allem mit demselben sozialen Standard während des Aufenthalts.“