11.04.2022.
Hierzu hielt unser Ratsgruppenvorsitzender Dr. Florian Sander nachstehende Rede während der Bielefelder Ratssitzung am 07.04.2022.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kollegen, verehrte Gäste!
Alle paar Monate wieder. Nun auch jetzt wieder: Man redet sich den Mund fusselig, damit wenigstens einer hier im Rat mal die Gegenperspektive einnimmt und sie dem großen Einheitsblock der Panikmaßnahmen-Befürworter hier vor Augen führt. Man weiß schon, was kommen wird: Staatstragende Mahnungen an das Verantwortungsgefühl aller aus der Koalition, „Das ist noch nicht genug!“-Rufe aus der CDU, „Komplette Wirtschaft für immer und ewig dichtmachen“-Krakehlen von den linksextremen Splittergruppen und halbherziges Sich-Winden und Dann-doch-Zustimmen von den heroischen Freiheitskämpfern der FDP. Alle paar Monate das gleiche Spiel, so auch jetzt wieder.
Doch einen Unterschied gibt es nun: Diesmal ist die Stadt Bielefeld nicht einfach die gesetzesvollziehende Exekutive – nein, diesmal ist sie Initiator (oder will es jedenfalls sein)! Der Oberbürgermeister und seine Verwaltung, dort allen voran Herr Adamski, der meine Kritik kürzlich im SGA „nicht kommentieren“ wollte und es dadurch faktisch freilich doch tat, wollen Bielefeld zum Hot Spot erklären lassen. Und das, obwohl es eine epidemische Lage von nationaler Tragweite selbst aus Sicht der Regierungsparteien gar nicht mehr gibt, obwohl Omikron einen deutlich schwächeren Verlauf nimmt als die Vorgänger-Varianten, was sogar der dauerpanische Bundesgesundheitsminister mit seiner neuen Regelung anerkennen musste.
Faktisch ist Omikron – und das wissen Sie im Grunde alle – nur noch mit einer besonders ansteckenden Grippewelle vergleichbar. Eine Krankheit mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 99,4 % als „Seuche“ und „Pandemie“ zu bezeichnen, ist ein Witz – nein, es wäre ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre. Ja: Unsere Kliniken sind mal wieder am Limit. Nein: Sie sind es eben nicht wegen Covid! Das wissen Sie im Grunde alle, aber das Paniknarrativ der letzten 2 Jahre, das es während Grippewellen ebenso wie die pausenlosen Massentestungen früher so einfach nicht gab, hat das rationale Denken so derartig vernebelt, dass derlei Erkenntnisse untergehen und kognitiv ausgeblendet werden.
Die SPD-eigene Tageszeitung berichtete gestern erst, dass selbst der Oberbürgermeister sieht, dass viele Patienten einfach mit Corona, aber nicht wegen Corona ins Krankenhaus kommen, und oft genug wohl erst dort merken, dass sie überhaupt infiziert sind. Die Zahl derer, die wegen Corona auf die Intensivstation müssen, spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls eine überdeutliche Sprache. Hätte man zu früheren Zeiten in gleicher Dimension Massentestungen auf Influenza durchgeführt und wäre Influenza so ansteckend, hätte man vermutlich ähnliche Ergebnisse gehabt – ohne, dass es dazu geführt hätte, in die Grundrechte von Bürgern eingreifen zu wollen, als seien diese nur lästige Nichtigkeiten.
Doch: Eben diese ganzheitlichere Sicht, eben dieser Vergleich fehlt, und eben da er fehlt, fehlt die Grundlage einer jeden realistischen Wahrnehmung, nämlich der Kontrast. Ohne Kontrast gibt es keine Relation, und wo die Relation fehlt, da erscheint alles beispiellos und dadurch beängstigend. Die Panikmacher haben leichtes Spiel.
Wo bei der Problematik, die uns in diesen Tagen in Bielefelder Kliniken begegnet – und eine Problematik besteht, zumindest in dieser grundsätzlichen Feststellung haben wir ja keinen Dissens –, die eigentliche Ursache liegt, wird ignoriert, weil es bedeuten würde, dass eine Menge Politiker Fehler zugeben müssten. Kern des Problems sind die zu geringen personellen Kapazitäten – und die haben rein gar nichts mit Corona zu tun, ebenso wenig wie sie vorher mit der Grippe zu tun hatten. Sie haben zu tun mit einer unverantwortlichen Gesundheitspolitik aller hier im Saal vertretenen Parteien, die uns in den letzten Jahren regiert haben.
Wer Krankenhäuser schließt oder zumindest ihre Kapazitäten reduziert oder nicht zur Genüge ausbaut, wer die miesen Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern im Gesundheitswesen so lange ignoriert, obwohl er bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine soziale Rhetorik pflegt, der muss sich am Ende über solche Situationen nicht wundern. Daran ist jedoch, wie gesagt, nicht Corona schuld, sondern ein System und eine Grundhaltung, die das Gesundheitswesen wie einen Wirtschaftszweig behandelt und es da, wo es keinen Gewinn abwirft, verkommen lässt und vernachlässigt. Mein guter Freund und politischer Verbündeter Herr Hoffmann hat das ja eben völlig richtig gesagt (ich hätte nie gedacht, dass ich ihm mal so sehr zustimmen müsste).
Mit anderen Worten: Sie tragen die Fehler Ihrer eigenen Parteien nun auf dem Rücken der Bürger aus. Sie haben sich so daran gewöhnt, mal eben mit exekutivem Fingerschnipsen essenzielle Grundrechte einschränken zu können, dass Ihnen das buchstäblich zur Gewohnheit geworden ist und es als ein bequemes Mittel erscheint, eigene Fehler zu vertuschen. Ich kann Ihnen hier nur nochmal wieder versichern: Wir lassen Sie damit nicht durchkommen – und lehnen die Vorlage selbstverständlich rundweg ab.
Vielen Dank.