20.08.2022
In der letzten Sitzung des Bielefelder Rates ging es unter anderem um das Thema „Energiesicherheit“. Die Altparteien haben in gewohnter Manier einen Antrag ohne AfD-Beteiligung dazu ausgeklüngelt.
Was davon zu halten ist, hat unser Ratsgruppenvorsitzender, Dr. Florian Sander, erläutert:
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte demokratische Kollegen, liebe Gäste!
Dies ist wieder eine dieser Fragen, wo man notgedrungen mal wieder etwas bundespolitischer werden muss, weil manche – notwendigen – Einwände so grundsätzlicher Natur sind, dass es geradezu zwangsläufig auch darauf hinausläuft.
Zunächst einmal: An Ihrem gemeinsamen Antrag, den Sie da mal wieder ohne uns ausgeklüngelt haben, ist nicht alles falsch. Es ist selbstverständlich völlig berechtigt, Energiearmut und Strom- und Heizsperren vermeiden zu wollen und hier auch für die bestmögliche Koordination, etwa in Form von Runden Tischen, zu sorgen. Das ist im Sinne eines pragmatischen Umgangs und einer solidarischen Stadtgesellschaft notwendig. Energieberatung ist immer gut, und dort, wo auf regenerative Energiequellen umgestellt werden kann, ohne dass dies zu Defiziten führt, sollte man das auch tun. Soweit Konsens, und zugleich der Grund dafür, wieso wir Ihren Antrag nicht ablehnen, sondern uns enthalten werden.
Es ist mir und uns jedoch unmöglich, über dieses Thema ganzheitlich zu reden, ohne auf die Verfehlungen Ihrer Parteien auf höheren Ebenen zu sprechen zu kommen, die diese Situation erst herbeigeführt haben. Es steht mit Nord Stream 2 bereits seit geraumer Zeit eine fertige und ausgebaute Pipeline bereit, über die wir uns ohne Probleme mit Gas versorgen lassen könnten. Ihr Parteifreund und Altkanzler, für den viele von Ihnen, wie ich noch sehr gut weiß, im Jahre 2005 noch viel Wahlkampf gemacht haben, liebe Kollegen von der SPD, weiß das nur allzu gut. Stattdessen lassen Sie sich von transatlantischen Geostrategen und grünen Hypermoralisten in unsinnige Sanktionen hineindrängen, die primär nicht Putin, sondern uns selbst schaden, wie eine kluge Parteifreundin von Ihnen, liebe Kolleg-sternchen-innen von der LINKEN, Dr. Sahra Wagenknecht, nicht müde wird zu betonen.
Würden Sie alle doch nur mal auf Ihre altgedienten Frontleute hören, anstatt sich für antideutsche Politik und die Hegemonialpolitik der verbliebenen Supermacht instrumentalisieren zu lassen, hätten wir all die Probleme nicht, die Sie jetzt zu diesem Energie- und Gas-Spar-Aktionismus veranlassen. Es macht vor diesem Hintergrund auch Sinn, dass Sie uns in die Beratungen zu Ihrem Antrag vorher nicht einbezogen haben – hätten Sie sich doch ansonsten diese Bedenken schon vorher anhören müssen und könnten nicht hier nach 6 Minuten Redezeit für uns mit etwas empörtem Gemurmel darüber hinweggehen.
Gestern konnte man in der SPD-eigenen Tageszeitung einen sehr klugen Leserbrief lesen. Darin wurde darauf verwiesen, dass der NATO-Verbündete Erdogan momentan das kurdische Volk bombardiert, ohne dass es auf Seiten der Altparteien irgendwen interessiert, ohne dass deswegen Sanktionen verhängt würden, ohne dass es deswegen zu einem Stopp der wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei kommt. 2003 und in den Jahren danach starben im Irak tausende von Menschen aufgrund eines Krieges, der seitens der USA wegen Öl-Interessen begonnen wurde, ohne dass deswegen Handelsbeziehungen nach Amerika in irgendeiner Form eingeschränkt wurden.
Wenn Sie jetzt also in alter Merkel-Manier darauf verweisen, dass die derzeitige Gas- und Energie-Krise bzw. die Sanktionen gegen Putin, die diese hervorgerufen haben, „alternativlos“ sei, dann ist das nicht nur schlicht gelogen, sondern auch die Übernahme eines von außen determinierten und vorgegebenen Handlungsfensters, das Ihre Parteien sich auf höherer Ebene haben aufoktroyieren lassen. Und Sie hier an der kommunalen Basis laufen diesen Narrativen unkritisch hinterher.
Kurz zum FDP-Antrag und unserem Änderungsantrag dazu: In Phasen der Energieknappheit ist es richtig, alle Optionen zu prüfen. Deswegen kann es auch nicht falsch sein zu prüfen, ob ein Kraftwerk, das über Jahrzehnte sichere und klimafreundliche Energieversorgung ermöglicht hat, weiterbetrieben werden kann. Dem Kern des FDP-Antrages stimmen wir also zu.
Aber – und aus diesem „Aber“ speist sich unser Änderungsantrag – dies kann dann nicht aus neoliberal-ideologischen Erwägungen heraus geschehen, wie das bei der FDP so oft der Fall ist, sondern allenfalls aus pragmatischen Erwägungen heraus. Das heißt mit anderen Worten: Prüfungen müssen ergebnisoffen sein, sonst sind es keine Prüfungen, sondern der Versuch, die eigene Ideologie zu bestätigen.
Genau auf einen solchen Versuch deutet aber der erste Absatz des FDP-Antrages hin, den wir mit unserem Änderungsantrag ersatzlos streichen lassen wollen. Er ist, ganz nebenbei, auch stilistisch unsinnig. Wenn ich im ersten Absatz schon weiß, dass ich den Weiterbetrieb eines AKW „begrüße“, dann muss ich es gar nicht mehr prüfen. Der Absatz nimmt also bereits das Ergebnis des Prüfauftrages im Sinne einer Pro-AKW-Ideologie vorweg, anstatt erst einmal mit professioneller Distanz zu schauen, was möglich wäre und was nicht. Die FDP macht sich damit zum ideologischen Gegenpart der Grünen anstatt mit kühlem Kopf zu prüfen. Das ist umso erstaunlicher, als dass Sie beide doch inzwischen eigentlich politische Verbündete sind.
Wir meinen, eine Streichung dieses Absatzes würde den Antrag ergebnisoffener, professioneller und ideologiefreier machen und bitten daher um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Vielen Dank.“