28.08.2018.
Mit zweierlei Maß gemessen.
Statt sich sachlich damit auseinanderzusetzen, ob die über das Mittelmeer nach Europa kommenden Flüchtlinge wirklich mit Schiffsbrüchigen verglichen werden können und die Initiative des Oberbürgermeisters nicht faktisch eine Rückkehr zu der 2015 ins Leben gerufenen „Wir schaffen das“ Ideologie der Bundeskanzlerin ist, ignoriert Herr Clausen die berechtigte Kritik des Amtsgerichtsdirektors Jens Gnisa und fokussiert sich darauf, ihm vorzuwerfen, er habe hierzu seine Amtsstellung ausgenutzt.
Dabei misst er jedoch mit zweierlei Maß. Er selbst setzt sein Amt als Oberbürgermeister dafür ein, den Bielefelder Bürgern seine persönlichen Emotionen mitzuteilen, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über die bereits erfüllte gesetzliche Quote hinaus aufzunehmen. Es steht außer Frage, dass die persönliche Betroffenheit des Oberbürgermeisters berechtigt ist. Dass trifft aber ebenso auf die Kritik des Amtsgerichtsdirektors zu.
Wie der Oberbürgermeister und ihm folgend andere Politiker mit dieser Kritik umgehen, gipfelnd in der Beschwerde des Geschäftsführers der Ratsfraktion der Grünen, offenbart ihre Unfähigkeit zur politischen Auseinandersetzung mit Menschen, die der Flüchtlingsproblematik weniger blauäugig und romantisch begegnen. Üblicherweise werden diese als Populisten und Hetzer verunglimpft, die nichts anderes im Sinn hätten, als die Umfragewerte der AfD zu stärken.
Zieht dieses Argument jedoch wie im Fall Gnisa nicht, der insoweit über jeden Zweifel erhaben ist, sind sich die Herren Clausen und Reese jedoch nicht zu schade, den Kritiker anzuschwärzen und ihm vorzuwerfen, er habe Amt und Person unzulässigerweise vermengt. Stattdessen hätten sie die Kritik zum Anlass nehmen sollen, darüber nachzudenken, ob Herr Gnisa nicht zugleich die Meinung eines breiten schweigenden Teils der Bielefelder Bevölkerung ausgesprochen hat, der ebenso wenig wie Herr Gnisa dem oben beschriebenen politischen Feindbild zuzurechnen ist.
Vielleicht hätte auch ein Blick über den berühmten Tellerrand geholfen. Dieser hätte nämlich ergeben, dass das Problem nicht dadurch gelöst wird, dass Bielefeld 100 oder 200 weitere junge Flüchtlinge aufnimmt. Noch während dies geschieht, steuern schon die nächsten Schiffe der Schlepper oder Hilfsorganisationen mit Flüchtlingen europäische Häfen an. Die Initiative des Oberbürgermeisters kann deshalb nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sein, aber niemals auch nur ansatzweise eine Lösung. Außerdem ist sie obendrein noch kontraproduktiv, weil Aktionen dieser Art den Flüchtlingsstrom nicht eindämmen, sondern nur noch vergrößern.
Bleibt die Frage, warum sich gleichwohl die Neue Westfälische so bedingungslos hinter die Initiative des Oberbürgermeisters stellt und sogar einen Reporter nach Italien schickt. Genauso gut hätte die Neue Westfälische der Frage nachgehen können, ob nicht die persönliche Kritik des Amtsgerichtsdirektors einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung hat und dieser wesentlich größer ist als der, den Ihre Kommentatorin Miriam Scharlibbe am 22.08.2018 daraus herleitet, dass jede Woche mehr Menschen auf die Straße gehen und sich mit den Seenotrettern solidarisieren. Dann hätten Sie festgestellt, dass dieser schweigende Teil der Bielefelder Bevölkerung sich von den Kommunal-Politikern schon lange nicht mehr vertreten und durch Ihre Berichterstattung diskriminiert fühlt.