22.03.2020.
Überlegungen unseres Vorstandsmitglieds Jonas Vriesen zu Corona und mehr.
Notstand
Das Leben steht fast still. Ich habe Heimarbeit verordnet bekommen. Unser Büro ist geschlossen. Wir bekommen keine Aufträge mehr. Ich bin allein in meiner Studenten-WG. Die Anderen sind bei ihren Eltern. Auf der Straße fahren kaum noch Autos. Der Nahverkehr fährt im Feiertagsbetrieb. Keine Busse sind zu sehen. Die Straßenbahn kommt nur noch jede halbe Stunde mit nur einem Wagen. Kaum Menschen sind darin zu sehen. Niemand fährt mit dem Fahrrad vorbei. Selten ist ein Fußgänger zu sehen. Wir halten Abstand. Mindestens 1,5 Meter. Wie verordnet.
Restaurants sind geschlossen. Meine Haare sind lang, der Friseur hat auch zu. Im Supermarkt hängen Plexiglasscheiben zwischen dem Kassierer und mir. Er ist der einzige Mensch, der wie gewohnt mit mir spricht. Nur ist zwischen uns jetzt Plexiglas. Es stört beim Bezahlen. Einige Regale sind leer. Eine Frau fragt nach Mehl. ,,Nur noch das Teure‘‘. Es ist ausverkauft. Die Versorgung ist sicher. Sagt die Regierung. Ich bekomme keine Panik. Kaufe nur was ich sonst auch kaufe. Kein Hamstern. Wie verordnet.
Die Alten sagen, so etwas gab es in Deutschland noch nie. Eine Pandemie breitet sich auf der ganzen Welt aus. Offene Grenzen und internationaler Handel ermöglichen die Ausbreitung in rasendem Tempo. Der Virus ist überall. Die Krankenhäuser sind jetzt schon überlastet. Jeden Tag steigt die Zahl der Infizierten. In Italien starben gestern an einem Tag über 600 Menschen daran. Dort herrscht bereits Ausgangssperre. Die Grenzen sind geschlossen. Es muss von steigenden Zahlen ausgegangen werden. Dazu gibt es keine Nachrichten. Ich nehme an, dass niemand beunruhigt werden soll. Seit herauskam, dass Fremde an Sylvester 2015/2016 massenhaft Mädchen belästigt hatten und der Vorgang systematisch verschwiegen wurde, gehe ich davon aus, dass in den Redaktionsstuben das Beruhigen oberste Priorität hat. Ruhe scheint überhaupt das Gebot der Stunde zu sein. Panik sei schlimmer als das Virus. Da ist man sich schnell einig. Stay at home. ,,Halten Sie sich an die Regeln.‘‘ Wie verordnet.
Alles fing 2010 an. Plötzlich geriet der Euro aus den Fugen. Griechenland und anderen Staaten drohte der Bankrott. Und plötzlich wurden Verträge gebrochen. Steuergelder wurden zur Rettung der dortigen Banken aufgebracht. Das war verboten. Maastricht-Vertrag oder so. Ich fand das komisch. ,,Wir dürfen nicht mit Europas Zukunft spielen.‘‘ Ein bisschen nachvollziehbar vielleicht noch. Aber eher komisch. Warum hatte man diesen Vertrag wohl so geschlossen, wenn man ihn für die europäische Zukunft brechen muss? Einige Ökonomie-Professoren waren aufgebracht und gründeten eine Partei.
Dann erinnere ich mich an 2015. Auf einmal kamen Millionen. ,,Die werden alle meine Rente zahlen.‘‘ Sagte meine Mutter und lächelte. Journalisten und prominente Wirtschaftsvertreter sprachen von einem neuen Wirtschaftswunder. Andererseits kannte nun jede Familie plötzlich jemanden, der wütend war und schimpfte. Das sei gegen die europäischen Verträge. Irgendwas mit Asylantrag im Ersteintrittsland. Dublin oder so. Und die Presse lügt. Lügenpresse. Systempresse. In der Regionalzeitung stand auf Seite sieben manchmal etwas von einer Gruppenvergewaltigung durch junge Männer. Sicher sollte niemand beunruhigt werden. Solche Nachrichten kannte ich vorher nicht. Doch niemand wollte der unsympathische AfDler sein. ,,Pack.‘‘ ,,Dunkeldeutschland.‘‘ Man schwieg dazu besser. Schweigen. ,,Wir schaffen das.‘‘
Vor einem riesigen Steinernen Kopf von Karl Marx versammelten sich diese AfDler in Chemnitz zur Demonstration. Das war 2018. Es gab Gegendemonstrationen mit denen sich nahezu alle Journalisten solidarisierten. Ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft im Kampf gegen rechts. Chemnitz bleibt bunt. Das klang toll. Fand ich aber nicht. Überall las man nun, dass diese AfDler rechtsextrem seien oder zumindest mit diesen fiesen Gestalten gemeinsam auf die Straße gingen. ,,Support your local Antifa.‘‘ Das machten jetzt viele meiner Kommilitonen. ,,Make racists afraid again.‘‘ AfD Demonstrationen oder Stände der Partei wurden nun regelmäßig und organisiert angegriffen. Die Gruppen die das taten wurden überall an meiner Uni beworben. Die hatten Geld und viele Freunde in Politik und Medien. Ein Bundestagsabgeordneter aus Bremen überlebte einen Angriff nur knapp.
In der Uni gab es ein Seminar, Außenpolitik in Zeiten globalen Wandels oder so, da habe ich Position bezogen. Ich sprach mich für Donald Trump und Nationalismus aus. Gegen eine grenzenlose Globalisierung. Für mehr Freiheitsrechte. Befürwortete den Brexit und sagte eine weitere Auflösung der EU voraus. Ab der zweiten Stunde waren links und rechts neben mir zwei Plätze frei. Ich machte mir einen Spaß daraus und setzte mich um. Die Situation blieb bestehen. Es war auch nicht wirklich lustig. Niemand stimmte mir zu. Niemals. Ein Kommilitone sagte mir einmal im Gang leise ins Ohr, dass er meine Äußerungen gut fände. Im Seminar schwieg er lieber. Einmal brüllte der Kurs los, als ich sagte, dass die Tagesschau framing nutzen würde. Es war bekannt und ich konnte es nachweisen, aber das interessierte niemanden. Mein Argument wurde nicht mehr gehört. Ich sollte auch endlich schweigen. Ich las einen Artikel darüber, dass der Deutsche Hochschulverband zunehmend Einschränkungen der akademischen Freiheit durch political corectness feststellt.
Ich bin dieser Regierung ausgeliefert. Sie hat mir schon viele Freiheiten genommen. Ich konnte nichts tun, obwohl ich mich mit aller Kraft gewehrt habe. Jetzt kann sie mir alles nehmen. Das Infektionsschutzgesetz erlaubt das. Glaube ich. Und selbst wenn nicht. Wer sollte sie aufhalten?