17.03.2022.

 

Die Rede wurde gehalten zu einem Antrag zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge sowie zu unserem dazu eingereichten Ergänzungsantrag, bezogen auf die Ausgrenzung und Diskriminierung in Deutschland lebender Russen:

„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Kollegen, liebe Gäste,

bevor ich etwas zu unserem eigenen Änderungsantrag sage, ein paar Worte noch zu Ihrem gemeinsamen Antrag, den wir sehr differenziert betrachten. Zunächst einmal stimmen wir grundsätzlich zu, dass wir in einem solchen Fall, wo wir es mit echter Kriegsflucht zu tun haben – etwas, was weiß Gott nicht immer der Fall war – Hilfe leisten und Aufnahme gewährleisten müssen. Das ist eine Selbstverständlichkeit und das erst recht, wenn eine Fluchtbewegung dieser Größenordnung in Europa ansteht. Dass es gerade Frauen und Kinder sind, die fliehen, macht die Notsituation erst recht deutlich – dies übrigens auch ganz bewusst nochmal im Vergleich zu anderen Migrationsströmen der Vergangenheit. Gerade deswegen ist es aber auch notwendig, dass dafür Platz geschaffen wird – dass also Ausreisepflicht in anderen Fällen, in denen kein echter Asylgrund vorliegt, nun auch wirklich vollzogen wird, damit die Kapazitäten für jene, die wirklich unsere Hilfe brauchen, frei werden. Diese Positionierung vermisse ich in Ihrem Antrag.

Dieses Defizit macht uns eine Zustimmung zum Antrag schwer, ebenso wie die Tatsache, dass wir es nicht für sinnvoll halten, als kommunales Gremium wohlfeile Stellungnahmen zu großen und in ihren Ursachen vielschichtigen internationalen Konflikten abzugeben. In wenigen Sätzen wird man dieser Komplexität nicht gerecht. Das kann ein kommunales Gremium wie dieses nicht, und schon gar nicht befindet es sich in der Position oder auch nur Legitimation, außenpolitische Forderungen zu artikulieren.

Trotz dieser Kritikpunkte sehen wir im Antrag auch zustimmungswürdige Stoßrichtungen: Etwa im Ziel der Aufrechterhaltung der russischen Städtepartnerschaft. Ohne Aufrechterhaltung des Dialogs wird es nicht gehen, weder „ganz oben“, auf Regierungsebene, noch auf der zivilgesellschaftlichen Ebene. Daher begrüßen wir diesen Punkt.

Nun zu unserem Änderungsantrag. Ein wesentliches Phänomen der letzten Tage seit Beginn des Krieges ist leider die in Deutschland immer mehr spürbare Diskriminierung und Ausgrenzung von Russen und Russlanddeutschen im gesellschaftlichen Alltag. Diese Diagnose bezieht sich dabei nicht nur auf die prominent gewordenen Fälle des Lokals und der Arztpraxis, die keine Russen mehr hereinlassen wollten, und auch nicht nur auf die Fälle von Prominenten, denen jetzt ständig Distanzierungserklärungen abgerungen werden sollen, weil ihnen eine Art Kontaktschuld attestiert wird.

Es bezieht auf ganz konkret erlebte Alltagsgeschehnisse von Russen und Russlanddeutschen auch hier in Bielefeld, auch in unserer Region, wie man auch gerade als AfD-Vertreter öfters zugetragen bekommt, wie Sie sich vielleicht denken können. Sei es ein Schulkind, das eine Klassenkonferenz bekommt, weil es im Unterricht keine Ukraine-Flagge malen wollte, seien es andere Alltagserfahrungen der Ausgrenzung oder des Drucks, sich für das Verhalten einer fernen Regierung rechtfertigen zu müssen.

Liebe Kollegen: Hier beginnen bedenkliche Entwicklungen, und zwar auch hier bei uns vor Ort, in dieser Stadtgesellschaft. Auch so beginnt die Spaltung einer Gesellschaft, auch so beginnen falsche Freund-Feind-Schemata, und gerade Sie alle, die ja so oft betonen, wie sehr Sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt seien, sollten hier langsam mal alarmiert sein. Keiner der hier lebenden Russen und Russlanddeutschen muss sich für Putin rechtfertigen, und – abseits davon – niemand darf Diskriminierung erfahren, nur weil er auf den Hergang des Konfliktes eine vom NATO-Mainstream abweichende Sicht hat. Ich finde, auch das ist ein Statement, das in diesen Antrag gehört.

Und Herr Rees, ich hätte mir gewünscht, dass Sie an dieser Stelle einfach mal auf den Inhalt unseres Antrages schauen; da steht nämlich, wie ich meine, nicht ein einziger Satz drin, dem die Kollegen hier im Saal nicht zustimmen könnten. Ich hatte gehofft, dass die Fraktionen hier mal die Größe besitzen, sich gerade in einer so wichtigen Frage auf die Inhalte zu fokussieren anstatt sich hier wieder von parteipolitischen Aversionen gegen die AfD treiben zu lassen. Ich bitte also nochmal um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.“