05.01.2023.
Unser Kreisvorsitzender und Vorsitzender der AfD Ratsgruppe, Dr. Florian Sander, bezieht sich in diesem offenen Brief an die Neue Westfälische auf einen gestern erschienenen Artikel. Zugleich richtet sich dieser offene Brief an die im Artikel erwähnte Selbsthilfegruppe.
Sehr geehrte Damen und Herren,
heute las ich in der NW über Ihre neue Selbsthilfegruppe gegen Zerwürfnisse durch „Verschwörungserzählungen“. Auch als früherer Verhaltenstrainer finde ich Ihren Ansatz interessant, zumal ich – was Sie vielleicht überraschen wird – die Wahrnehmung teile, dass die Spaltung der Gesellschaft durch „Filterblasen“ in sozialen Netzwerken ganz massiv vorangetrieben wird. Dazu steuern natürlich auch Algorithmen ihren Teil bei: Facebook und Co präsentieren einem eben bevorzugt Links, Themen, Videos etc. aus eben jenen Ecken, in denen man zuvor schon ähnliche Inhalte rezipiert hat, wodurch sich bestimmte, partikulare Wahrnehmungen zementieren – übrigens auf beiden Seiten des politischen Spektrums.
Zur Wahrheit würde daher dann auch gehören, auch „Verschwörungsnarrative“ der anderen Seite zu thematisieren. Wer gesellschaftliche Gräben und Spaltung überwinden, wer (um es amerikanisch-pathetisch auszudrücken) „heilen“ will, der muss den Teil der Gesellschaft, der auf der anderen Seite des Grabens sitzt, dann auch mitnehmen und endlich, endlich aufhören, ihn (= in Deutschland derzeit ca. 15 % der Wählerschaft!) pauschal und höchst undifferenziert als „rechtsextrem“, „verschwörungsgläubig“, „Schwurbler“, „Covidioten“ oder ähnliches zu etikettieren und dadurch zu stigmatisieren. Es ist ja keine Frage, dass es Verschwörungstheorien gibt, die man als vernünftiger Mensch durchweg als abstrus bezeichnen kann. Es ist aber ebenso auch keine Frage, dass in den letzten zweieinhalb Jahren geradezu massenhaft Menschen, die einfach eine andere Sichtweise auf die Maßnahmen und die Gefahren durch Corona hatten, ohne dabei aber grundsätzlich den Virus zu leugnen, pauschal als Covidioten oder ähnliches etikettiert worden sind. Auch die Zeitung, die über Ihre Selbsthilfegruppe berichtete, trägt daran eine Mitverantwortung.
Soziologisches Faktum ist, dass fast jede politische Bewegung, egal ob rechts, links oder religiös motiviert, immer auch einen kleinen harten, radikalisierten, manchmal auch gewaltbereiten Kern hat. Für die 68er Bewegung etwa war das die RAF. Trotzdem käme heute wohl kein etabliertes Medium (außer vielleicht der BILD) noch auf die Idee, pauschal alle Studenten, die 1968 demonstriert haben, mit Ulrike Meinhof und Co gleichzusetzen (und das zu Recht nicht, wie ich betone, denn friedlicher Protest ist eben etwas anderes als politische Gewalt). Genau das wird aber eben heutzutage für die rechte Seite des Spektrums anders gehandhabt: Hier werden eine komplette politische Bewegung bzw. die ihr zuzurechnende Partei mit einem „harten Kern“ gleichgesetzt, der aber eben mit ihr alles andere als identisch ist, sondern oft gerade aus Leuten besteht, die aus Ungeduld und / oder persönlicher Frustration heraus über die Bewegung / Partei enttäuscht sind und sich dann abgewendet und radikalisiert haben. Es sind also keine Kontinuitätslinien, wie es medial oft dargestellt wird – es sind Brüche!
Der Grund für diese mediale Gleichsetzung oftmals: Politische Strategie. So können konkurrierende Parteien, gerade Regierungsparteien, unliebsame Opposition so stigmatisieren, dass sie aus dem politisch-medialen Diskurs faktisch ausgegrenzt ist und ihre Inhalte tabuisiert werden. Dahinter steckt zumeist nichts anderes als astreine Machtpolitik. Diese Strategie ist aber eben gesellschaftspolitisch kurzsichtig, wenn sie 15 % der Wählerschaft trifft; im Osten teilweise um die 30 %. Alle extremistisch? Alles „Schwurbler“, über die man in seinen urban-linksliberal-grünlichen Altbauvierteln die bildungsbürgerlichen Nasen rümpfen kann? Ich prophezeie: Dies wird kurz oder lang zu US-ähnlichen Verhältnissen führen, im Zuge derer sich zwei Lager unversöhnlich und vollkommen dialogunfähig gegenüberstehen. Und warum? Weil ein nahezu komplettes politisches und mediales Establishment sich auf die linksexreme Antifa-Logik eingelassen hat, mit bestimmten Andersdenken nicht reden zu dürfen, sie totschweigen zu müssen, sie wo es geht aus dem sozialen Leben auszugrenzen.
Auch diese Tatsachen gehören dazu, wenn man darüber redet, wieso Menschen sich zurückziehen, wieso Menschen aggressiv sind, wieso Menschen mit den etablierten Institutionen der Gesellschaft nichts mehr zu tun haben wollen. Es sind nicht immer nur die bloßen Verschwörungserzählungen, die Menschen in eine solche Entwicklung drängen. Wenn ein gesellschaftlicher Mainstream auf alternative politische Positionen immer nur mit Ausgrenzung, Diskursverweigerung und Stigmatisierung zu reagieren vermag, dann muss er sich nicht wundern, wenn manche Menschen sich dann komplett von ihm zurückziehen. Eigentlich doch eine auch sozialpsychologisch sehr naheliegende Erkenntnis – oder? Ich jedenfalls würde mir wünschen, dass auch diese Erkenntnis in die Arbeit Ihrer Selbsthilfegruppe Eingang finden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Florian Sander
Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld
Sprecher der AfD-Ratsgruppe